Gib Obacht - ein Vogel

Wenn ich Vögel beobachte, erinnere ich mich immer wieder an das Wort Jesu: „Seht euch die Vögel des Himmels an: Sie säen nicht, sie ernten nicht und sammeln keine Vorräte in Scheunen; euer himmlischer Vater ernährt sie. Seid ihr nicht viel mehr wert als sie?“ (Mt 6,26). Gleichzeitig frage ich mich, wie kommt es, dass es immer weniger von diesen gefiederten Freuden gibt.

Schon seit meiner Kindheit und Jugend fasziniert mich die Vogelwelt. Auch in Zukunft möchte ich möglichst viele dieser schmucken Mitgeschöpfe beobachten können. Ich spüre immer wieder, wie gut das tut. Glücklicherweise beginnt die Natur hier auf der Schwäbischen Alb direkt vor der Haustür. Hier im Pfarrhaus auf dem Land kann ich deshalb oft auch während der Arbeitszeit mit einem kurzen Blick aus dem Fenster einheimische Vogelarten beobachten. Ich merke, wie ich dabei auch kurzfristig abschalten kann. Das Beobachten macht mich ruhiger und ich kann in einem Augenblick ein bisschen auftanken und spüre mitten am Tag etwas von der Sorglosigkeit, die Jesus in diesem Zusammenhang nennt. Das Wesentliche, was wir brauchen, ist Geschenk des himmlischen Vaters. Er ernährt uns und alle Mitgeschöpfe auf sehr gute Weise. Jedes Vögelchen ist ein Wunderwerk des himmlischen Vaters – umso mehr der Mensch.

Diese Überlegungen sind für mich ein Grund, besonders im Winterhalbjahr die Standvögel durch eine sachgerechte Winterfütterung in die Nähe des Hauses zu locken. Staunen und beobachten können war für mich vor 50 Jahren der erste Grund. Seither ist kein Winter vergangen, in dem ich nicht daran gedacht hätte, die Vögel zu füttern. Immer verspürte ich dabei ein gutes Gefühl, fast so, wie wenn man eine gute Tat vollbringt, indem man einem anderen Menschen hilft.

In der letzten Zeit fuchst es mich umso mehr, dass das Artensterben in unserer Landschaft geradewegs weitergeht und womöglich dem Insektensterben ein Vogelsterben folgt. Das ist für mich eine Horrorvision und vor dem genannten Hintergrund fast schon ein theologisches Problem.

Ein Sprichwort aus Afrika sagt: „Vögel sind die Handschrift Gottes am Horizont.“ Deswegen schweift mein Blick unterwegs immer zur Seite oder in die Höhe, um Vögel in den Blick zu bekommen. Wenn ich dann einen Sperber entdecke auf seinem trickreichen Jagdflug, dann ist das für mich ein Erfolgserlebnis. Man sieht ihn nämlich nur ganz kurzfristig zwischendurch im schnellen Flug. Auch der Rote Milan ist ein „Freund“ von mir. Sein elegantes Segeln bewundere ich gern; es macht mein Auge satt.

Aber kommen wir jetzt zurück zu den Singvögeln, die bei uns überwintern. Ich muss sie einfach füttern, sonst fühle ich mich an diesem Wintertag nicht wohl. Woher kommt das?

Es ist eine Art Spiritualität im Alltag, die meine Gedanken an den himmlischen Vater, der alle ernährt, aufrechterhält. Betrachte ich jetzt die Verbindung der Ernährung von Mensch und Mitgeschöpf, kann man sagen, das, was Jesus sagt, ist glaubwürdig und vollkommen richtig. Aber warum hungern dann Menschen und Tiere?

Wir nehmen einander die Nahrungsquellen weg. Die Ernährung der Weltbevölkerung ist kein Problem der Produktion, sondern der gerechten Verteilung. Die Mitgeschöpfe, also die Vögel, können sich tatsächlich auch ohne uns ernähren. Das war über Jahrhunderte so, weil der Schöpfer in die Schöpfung eine eigenständige Dynamik hineingelegt hat. Doch wir Menschen haben inzwischen vielen Vogelarten die Lebensräume weggenommen. Ihre Biotope wurden zerstört und für die menschliche Nutzung eingeebnet.

Wenn ich jetzt auf Jesu Worte zurückkomme, dann kommt mir der Satz aus dem Johannes-Evangelium in den Sinn: „Ich bin gekommen, damit sie das Leben haben und es in Fülle haben“ (Joh 10,10).

Dieses Wort „Fülle“ ist sehr bedeutungsoffen; ich beziehe es auf die Schöpfung. Fülle bedeutet für mich Artenvielfalt in möglichst hohem Maß – wie sie uns Gott als Vater und Schöpfer allen Lebens seit jeher zugedacht hat. Dieser Zuordnung möchte ich das Wort reden und ich behaupte: Im Glauben an Jesus Christus kann es uns gelingen, in all den Umweltfragen Lösungen zu finden, die dem Anliegen aller Menschen guten Willens entsprechen. Praktisch gesehen gehört für mich dazu auch die Kooperation der Gemeinden und der Kirche mit Naturschutzorganisationen, die mit ihrem Netzwerk engagierte Menschen mit hohen Idealen verbinden. In dieser Spur sehe ich Chancen nicht nur für die Vogelwelt, sondern für die Artenvielfalt insgesamt. Das gilt für mich im Kleinen vor der Haustür und ganz allumfassend katholisch. Denn katholisch sein heißt für mich, alles in den Blick zu nehmen: Mensch und Natur, Geschöpf und Mitgeschöpf – und in diesem Sinn mich einzusetzen für eine schöpfungsfreundliche Kirche. Immer, wenn ich einen Vogel singen höre, glaube ich, er stimmt mir zu.

Pfarrer Karl Enderle

 

Seit über 40 Jahren bin ich Mitglied im NABU und habe mich auch deshalb gleich der Ortsgruppe Laichingen angeschlossen, als ich meine Pfarrstelle auf der Alb angetreten habe.


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